Evangelisation hat viele Formen. Pfarrer Volker Roggenkamp ermutigt, das Evangelium entschlossen in der Öffentlichkeit zum Thema zu machen.
Wenn man Christen fragt, was „Evangelisation“ bedeutet, würden manche vielleicht antworten: Das ist, wenn ein Referent eine Woche lang in einem Saal oder Zelt vorne steht, über Jesus redet und zur Bekehrung aufruft. Evangelisation hat in manchen Orten einen schlechten Ruf. Es mag sein, dass in der Vergangenheit unreflektierte Theologie verkündigt, dränglerische Ansprachen gehalten, mittelmäßige Jugendchöre präsentiert oder schlechte Witze zum Besten gegeben wurden. Dennoch halte ich dieses Format nicht für überholt. Im Gegenteil: Auch im 21. Jahrhundert brauchen wir Evangelisation als einen Zweig der Mission; brauchen wir Aktionen, bei denen ein Referent oder eine Referentin an einem öffentlichen Ort in einem liebe- und phantasievoll gestalteten Rahmen einladend über den Glauben an Jesus Christus redet. Dafür spricht:
Im Neuen Testament gibt es kein Entweder-oder zwischen dem Gespräch unter vier Augen, in kleinen Gruppen und dem Predigen in der breiten Öffentlichkeit. All das hat da seinen festen Platz: Jesus hat oft mit Einzelnen und kleinen Gruppen gesprochen, aber eben auch auf Plätzen, Bergen und bei Massenveranstaltungen mit 5000 Menschen. Paulus hat mit Einzelnen gesprochen, in den Synagogen und auf dem Areopag gepredigt. Es ist biblisch, das Evangelium auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Viele der kirchlichen Angebote meiden entweder die Öffentlichkeit oder suchen diese, präsentieren dort aber nicht unbedingt das Evangelium: Hauskreise, Glaubenskurse, Besuchsdienste sind gut und wichtig. Aber sie bewegen sich im (Gemeinde-)Haus und damit im Privaten. Und auf der anderen Seite sind wir als Evangelische Kirche natürlich mit vielen Veranstaltungen, Instituten und Papieren in der Öffentlichkeit präsent. Aber viele dieser Formate zeichnen sich nicht unbedingt dadurch aus, fröhlich das Evangelium zu präsentieren.
Das ist die Stärke von Evangelisation: Sie wagt sich in die Öffentlichkeit, und macht dort entschlossen das Evangelium zum Thema.
Wirklich? Ich höre viele Einwände, mache aber gute Erfahrungen: Es kommen tatsächlich gemeindeferne Gäste. Die Nürnberger Studentenmission (SMD) hatte zu einer Evangelisation eingeladen. Am ersten Abend in einem Kino kommen 150 Besucher zum Thema „Warum glauben, wenn die Wissenschaft doch Wissen schafft“. In der Q+A-Phase nach dem Vortrag fragt ein Gast in aggressivem Ton, wie viele der Gäste denn jetzt von der SMD wären und wie viele nicht dazugehören würden. Es melden sich ca. ein Drittel SMD-ler und ca. zwei Drittel andere und der Gast ist sichtlich überrascht. Nebenbei: Entgegen dem Irrtum, dass Evangelisation etwas für alte Männer sei, gibt es eine sehr lebendige Szene unter Studierenden: Die IFES (Internatio nal Fellowship of Evangelical Students) hat ein Netzwerk für HochschulevangelistInnen aufgebaut und allein dessen Mitglieder waren in der ersten Jahreshälfte 2015 in Europa an ca.150 solcher Veranstaltungen in Hörsälen, Mensen oder Kneipen beteiligt. Aktiv sind vor allem Studierende.
In Münster haben wir zu einer Reihe von Abenden mit Livemusik und Talk in ein Café in der Stadtmitte eingeladen. Dieses ist ohne Türen zu einer Mall hin geöffnet. Die „Quote“ der gemeindefremden Besucher war kleiner als in Nürnberg, aber ich sah an vielen Tischen „unsere“ Leute und daneben ein oder zwei mir Unbekannte, die sie mitgebracht hatten. Evangelisation kann der Ort sein, zu dem Christen gerne Menschen mitbringen. Dazu kamen Passanten, die sich spontan einladen ließen, und solche, die das Café nicht betraten, aber dahinter in der Mall stehenblieben. Manche für einige Minuten, manche auch das ganze Programm über.
Zugegeben: Es gibt auch Evangelisationen, zu denen enttäuschend wenige Gäste kommen, obwohl man fragen darf, wie viele „verlorene Schafe“ man denn zählen muss, um dieses Format zu rechtfertigen. Kontaktfreude und die Motivation der Veranstalter dürfen Schlüssel dazu sein, Gäste zu gewinnen. Hat man Freunde oder Bekannte, mit denen man ohnehin ins Kino, Café oder zu Vorträgen geht, dann kann man sie auch mitnehmen, wenn dort über den Glauben gesprochen wird. Hat man sie nicht, dann sind eher andere Schritte vor einer Evangelisation dran. Und startet man eine Evangelisation aus schlechtem Gewissen, ist das auch wenig verheißungsvoll. Startet man sie aus Freude, dann wird etwas möglich.
Vor drei Jahren haben wir unsere Gemeinde mit der Idee einer ungarischen Studentengruppe motiviert: Statt den Menschen Evangelisations- Themen vorzugeben, haben wir sie selbst danach gefragt: „Stell dir vor, es gäbe Gott und du könntest ihm genau eine Frage stellen. Was wäre deine Frage?“ Damit gingen wir in die Öffentlichkeit und in einem angegebenen Zeitraum konnte jeder per Postkarte oder Mail seine Frage stellen. Zu den drei am häufigsten gestellten Fragen haben wir dann je einen Abend angeboten. Auf diese Weise wurde schon das Einladen interaktiv. Statt nur Flyer zu verteilen, wurde schon die Werbung zu einem Gespräch. Unsere Gemeindemitglieder bekamen Lust daran und so konnten wir sehr viele Gäste begrüßen.
Nur der Heilige Geist kann Glaubensschritte bewirken und Gott sei Dank gibt es keine Methode, mit der man ihn dazu zwingen könnte. Aber man kann dem nachspüren, wo er gewirkt hat, und so besonders „windige Plätze“ finden, an denen er öfter weht. Meines Wissens gibt es nur eine neuere Studie, die untersucht, wie in Deutschland Erwachsene tatsächlich zum Glauben finden. Bei dieser Studie aus Greifswald gaben beinahe die Hälfte der befragten Erwachsenen an, dass Evangelisation auf ihrem Glaubensweg bedeutsam war.¹ Bedenkt man, wie relativ selten Evangelisationen veranstaltet werden, dann ist diese Zahl beinahe sensationell und gibt Grund zu der Hoffnung, dass wir hier einen windigen Platz haben.
Evangelisation kann eine entscheidende Ergänzung zu persönlichen Kontakten sein: Wenn Christen Kontakte geknüpft haben und Gespräche über den Glauben führen, kommen sie oft auch an Grenzen. Nicht jeder kann das Evangelium gleich gut kommunizieren und nicht jede Situation hat die gleiche geistliche „Dichte“. Da bietet Evangelisation Chancen. Wenn eine Gemeinde ihre Gebete und ihre Energie fokussiert, wenn sie einen ansprechenden Rahmen schafft, am besten zu mehreren Abenden zeitlich nah beieinander einlädt, wenn das Evangelium überzeugend präsentiert wird, dann entsteht öfter ein Ort, an dem der Heilige Geist weht. Ich bin überzeugt, dass das Potential von Evangelisation noch lange nicht ausgeschöpft ist. Sie kann auch in der Zukunft noch vielen Menschen zum Segen werden.
Volker Roggenkamp ist Generalsekretär der SMD in Marburg. Er ist gelegentlich als Evangelist im Uniumfeld unterwegs.
Dieses Plädoyer erschien bereits 2016 in 3E, dem Ideenmagazin für die evangelische Kirche. Jede Ausgabe will Christinnen und Christen begeistern, die Chancen und Stärken von Gemeinden zu nutzen, um das Evangelium zu verkünden.
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