Prediger auf Colakisten – braucht unser Glaube so viel Öffentlichkeit? Was ist Privatsache, was nicht? Daniela Mailänder versucht sich öffentlich an einer Antwort.
Wenn ich an öffentlichen Raum denke, dann denke ich unwillkürlich an unsere Innenstadt. Ich muss immer an jenen Mann denken, der auf einer umgedrehten Colakiste steht. Er predigt monoton „Jesus rettet! Nur er ist der Weg, die Wahrheit, das Leben!“ Manchmal lässt er den erhobenen Zeigefinger herunter, um sich unterbrechen zu lassen von einem der Passanten, der dann mit ihm diskutiert. „Aber er ist doch nicht der einzige Weg!“ „Doch, die Bibel sagt: Er ist der einzige Weg!“ Und dann fährt er fort zu reden und zu reden monoton über die Köpfe der Menschen hinweg. Er steht mitten im öffentlichen Raum und spricht von Gott.
Und ich denke mir: „Junge, so kann das doch nicht funktionieren!“ Gott wird so von den meisten nicht gehört im öffentlichen Raum. Wir brauchen die andere Seite. Nicht von oben herab, sondern nah und persönlich. Nicht wilde Proklamationen, sondern authentisch muss das Evangelium verkörpert werden. Z. B. abends bei einem Bier. Und ich erinnere mich an eines der Traugespräche, das ich geführt habe im Landbierparadies, einer fränkischen Kneipe mit einem jungen Paar. Beide hatten sie mit dem christlichen Glauben so wenig zu tun und doch waren sie hochinteressiert. Wir redeten so über Gott und die Welt und am Ende haben wir ein Gebet gesprochen dort im Landbierparadies, und ich habe ihnen den Segen zugesprochen für ihre Hochzeitsvorbereitungen.
Seht ihr: So spricht man über den Glauben, doch nicht so laut, so unangenehm, so fordernd, so unnahbar, so von oben herab. Sondern nah, persönlich, liebevoll und am besten von Angesicht zu Angesicht.
Dachte ich. Bis zu jenem Schulgottesdienst, in dem ich sprach. Mit Lehrern hatten wir den Gottesdienst vorbereitet und gemeinsam beschlossen, dass ich die Verkündigung übernehmen sollte. Ich sprach von Jesus, wie er seinen Jüngern auf dem See begegnete und vom Wasser unter seinen Füßen und dass es im Leben darauf ankommt, den Fuß aus dem trockenen Boot zu nehmen und auf Jesus zuzulaufen. Ich erntete harte Kritik. Es seien schließlich auch muslimische Kinder da. Und da nur von Jesus zu reden, sei sehr lieblos und passe nicht ins Konzept. Es sei von oben herab und ja: Im privaten Kontext könne man das machen, aber doch nicht im öffentlichen.
Also besann ich mich und redete von Jesus beim SPRING, dem Kirchentag, dem Christival, Pfingstjugendtreffen, CVJM-Treffen, Jugendgottesdiensten, Willow Creek, Gottesdiensten in anderer Form und sogar in Bobengrün im frommen Frankenwald. Und alle haben genickt. Ich bin mir nur nicht sicher, wie öffentlich das wirklich war. Oder war es die Wagenburg. Die christliche. Die Szene. Unser Milieu. Aber die brauchen wir ja auch. Zur Stärkung. Zur Aussendung. Zum Sich-Klar-Werden-Darüber- Was-Wir-Glauben.
Im Sommer waren wir als Familie auf einem Camp. Geflüchtete Familien waren auch dort. Jeder erzählt von seinem Glauben am Lagerfeuer. Ein Arzt aus Syrien erzählt: „Ich habe bei euch hier in Deutschland das Gefühl, dass ihr eure Wurzeln verloren habt. Ihr redet nicht über das, was euch wichtig ist. Über eure Familien, über Gott, über euren Glauben. In Syrien reden wir darüber ständig.“ Ein anderer sagt: „Ich bin Moslem. Aber ihr seid wie Familie für mich. Ich glaube nicht, was ihr glaubt, aber es ist schön, dass ihr so offen darüber redet.“ Zwei Syrer, zwei Aussagen. Ist das Mission? Ist das Dialog?
Und dann gehen wir in die Kirche, denke ich mir. Das ist irgendwie halböffentlicher Raum. Ein Gottesdienst zum Thema „Gott. Sex. Und sowas.“ steht an. Die Presse meldet sich. Viel Presse. Auch der Deutschlandfunk ist dabei. Teile meiner Predigt werden veröffentlicht, Sätze aus dem Interview tönen durch ganz Deutschland.
Und ich erhalte Zuschriften. Viele. „Was ich mir einbilde …“, schreibt ein Rechtsanwalt mit zweifachem Doktortitel, „so anbiedernd von Gott zu reden“. Der Glaube und auch das Thema „Sexualität“ seien ja wohl ein privates Thema. Das überhaupt zueinander zu bringen!
Ein anderer schreibt. Er ist Historiker, mit nur einem Doktortitel. Er sei begeistert und möchte die Predigt gerne – weil sie öffentliche Wortverkündigung für ein relevantes Thema unserer Zeit sei – in sein Buch aufnehmen.
Ich bin einigermaßen verwirrt. Von Gott reden im öffentlichen Raum. Wo kann ich denn öffentlich von Gott reden? Wo sollte ich lieber ganz persönlich von ihm erzählen? Ist Glaube Privatsache und wie kann eigentlich öffentlich geglaubt werden? Wo ist Mission angebracht? Wo Dialog? Und schließt das eine das andere aus? Ich lerne.
Wenn wir von Gott im öffentlichen Raum reden, wird das nie ohne Reaktion bleiben. Es wird Kritik kommen. Es wird Anstoß erregen. Das ist eine Tatsache, die wir bedenken und mit der wir rechnen sollten. Aber ist das ein Grund, nicht von Gott in der Öffentlichkeit zu reden?
Wer mit Jesus unterwegs ist, dessen persönliches Leben wird umgekrempelt. Meine Überzeugung, meine Nachfolge und mein Leben sind herausgefordert. Und nur, wer persönlich berührt ist, wird erzählen können. „In mir muss brennen, was in anderen zünden soll.“ (Augustin) Was einmal in mir Raum genommen hat, was mich begeistert, was mich berührt, was mich heil werden lässt, von was ich überzeugt bin, das kann erzählt werden. Nur Glaube, der persönlich ist und fest verwurzelt in der Bibel, kann öffentlich bezeugt werden. Privates und öffentlichen Glauben kann man nicht trennen. Was man abends beim Bier sagt, sollte man am nächsten Tag auch auf der Straße verkündigen können.
Der christliche Glaube ist sinnstiftend. Er geht von der Würde jedes einzelnen Menschen aus. Deshalb gehört er in die Öffentlichkeit. Wir laden ein zu einem liebenden Gott und treten ein für Gerechtigkeit, Versöhnung und Bewahrung der Schöpfung. Das soll ans Licht. Dialog ist erst dann möglich, wenn klar ist, an was ich glaube. Wer sich über den Kern des Glaubens klar ist, der kann in einen tragfähigen, kritischen Dialog treten. Dazu braucht es beides: persönliches Gespräch und öffentliche Verkündigung. Wessen Glaube nicht öffentlich zur Sprache kommen kann, dessen Glaube muss dringend hinterfragt werden. Als Christen müssen wir „zweisprachig“ unterwegs sein: Fest verwurzelt und vertraut mit der Bibel und der Nachfolge Jesu UND vertraut mit den Fragen und Vorstellungen unserer Zeit und der Gesellschaft. So kann Glaube öffentlich relevant sein.
Der tiefste Kern unseres Glaubens ist die Mission: Hin zu den Menschen. Wer die Evangelien liest, der ahnt, dass Glaube, der stillsteht, nicht dem Sinn Jesu entspricht. Christlicher Glaube hat auch immer die Aufgabe, die Glaubensinhalte und Glaubenslehren vernünftig und anschlussfähig gegenüber der Gesellschaft zu kommunizieren. Was ist öffentlicher Raum? Das Lagerfeuer, der Deutschlandfunk, der Schulgottesdienst, der Gottesdienst, das Straßenfest, der Sportverein, der Stammtisch, das persönliche Gespräch, das Kinderzimmer – dort, wo wir sind, sind wir hingestellt.
Mit unserer persönlichen Lebensgeschichte und der großen Geschichte Gottes. Die Worte der Bibel haben Kraft, und das Wort Gottes ist schärfer als ein zweischneidiges Schwert. In der pluralistischen Gesellschaft wirst du in Geschichten antworten müssen. Klar, nicht scharf, sondern scharfsinnig. Von dem reden, der die Geschichte in der Hand hält und der deine Geschichte verändert. Auf die Frage „Wer bin ich?“ und „Wohin geht es mit dieser Welt?“ werden wir nur mit unserer Lebensgeschichte – mit dem, was Gott in unserem Leben tut – antworten können.
Religionsfreiheit schließt die Freiheit zur Mission ein: Denn das Recht zum Wechsel der religiösen Überzeugungen ist ein Teil der Religionsfreiheit. Deshalb muss das Recht gesichert sein, anderen seinen Glauben zu bezeugen. Wer, wenn nicht wir, sollte damit beginnen? Wer selbst dieses Recht in Anspruch nimmt, spricht damit auch anderen dieses Recht zu.
Aber wer, wenn nicht wir, redet von Gott öffentlich? Zu gerne verstecken wir uns hinter den Argumenten: „Das machen Politiker oder Pfarrer!“, oder der Unsicherheit, ob wir angesichts der Multipluralität von Gott reden dürfen, oder „Mit Mission wurde so viel Schlechtes getrieben“. Dabei gilt: Wer, wenn nicht wir – mitten im Alltag – sollte von Gott reden? Weil wir an die Würde glauben, die jeder Mensch in sich trägt. Wer, wenn nicht wir, lädt zum Dialog ein? Ich rede von Gott, ich lebe meinen Glauben mitten in der Welt, weil ich einem Vorbild folge, einem Menschen, Gott selbst, der mein Leben verändert hat: Für den Sohn Gottes gibt es keine Grenzen, wenn es darum geht, Menschen anzunehmen und ihnen die Liebe Gottes zu bringen. Deshalb rede ich von Gott. Öffentlich. Privat. Persönlich. Und immer liebevoll.
Daniela Mailänder ist Geburtshelferin von LUX – Junge Kirche Nürnberg. Das 2009 gegründete Projekt entwickelte sich zu einer der größten aktiven Jugendkirchen Deutschlands. Inzwischen ist sie angestellt bei midi, der Zukunftswerkstatt von Kirche und Diakonie wo sie Fresh X Initiative Kirche Kunterbunt und das Kirchenentwicklungsprogramm der ELKB M.U.T koorindiert.
Dieser Beitrag erschien bereits 2017 in 3E, dem Ideenmagazin für die evangelische Kirche. Jede Ausgabe will Christinnen und Christen begeistern, die Chancen und Stärken von Gemeinden zu nutzen, um das Evangelium zu verkünden.
Das Ideenmagazin 3E gibt es in Kombination mit der Zeitschrift AUFATMEN in Print und Digital.
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