Helles Treppenhaus

Über den Glauben (im Osten) reden

Sie scheint von mir zu erwarten, dass ich mit ihr über den Glauben spreche.
Ulrich Mang

Kann es sein, dass die Menschen um uns herum erwarten, dass wir ihnen von Jesus erzählen? Weil wir vielleicht die einzigen in ihrem Umfeld sind, von denen sie direkt Informationen über ihn bekommen können? Ulrich Mang hat das durch eine scheinbar beiläufige Begegnung mit einer Nachbarin erlebt.

Ich laufe die Treppe im Haus hoch, habe noch die Musik der Band unserer Gemeinde im Ohr. Da öffnet sich die Tür im ersten Stock. Vor mir steht meine Nachbarin, eine ältere Dame. Sie trägt ein Sommerkleid, hat ihre Sonnenbrille in den Haaren und einen Korb mit Kaffeekanne, Würstchen und Getränken in der Hand. Sie möchte gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn raus an den See fahren.

Vom verschämten Nuscheln

Und ich? – Ich stehe vor ihr im dunklen Anzug, trage eine Krawatte und bin auf dem Heimweg. Wir haben ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis, kennen uns schon einige Jahre. Ich grüße sie freundlich und gehe vorbei. Dann höre ich hinter mir: „Oh, woher kommen Sie denn? Waren Sie auf einer Hochzeit?“ Ich stutze, bleibe stehen und drehe mich um. „Nein, ich war gerade in der Gemeinde. Es war Gottesdienst“, nuschle ich.

Irgendwie sind solche Situationen für mich sehr unangenehm. Unangenehm, obwohl bei meinen Nachbarn bekannt ist, dass wir – meine Frau und ich – Christen sind, Theologie studiert haben und im kirchlichen Bereich arbeiten. Trotzdem habe ich mich in dieser Situation ertappt und überrumpelt gefühlt. Und das, obwohl es doch nichts Ungewöhnliches für mich ist, wenn mich ein Mensch auf mein Christsein anspricht. Oder doch?

Ich lebe im Osten Deutschlands und tue das sehr gern. Jedoch ist hier das Christsein anders und doch irgendwie nicht. Ich bin in Südwestdeutschland geboren und aufgewachsen, daher kenne ich eine noch relativ hohe Verbundenheit mit der Kirche oder dem Glauben. Hier im Osten ist das nicht so. Auch wenn ich das starke stereotype Bild zwischen dem christlichen Westen und dem atheistischen Osten nicht mag, das in vielen Köpfen herumgeistert, muss ich sagen, dass die Menschen im Osten keinen oder nur wenig Bezug zum Glauben und zu Kirche haben.

„Zeugnis geben“ = Leiden?

Mir kommt schnell in den Sinn, dass ich doch eigentlich für meinen Glauben einstehen möchte. „Zeugnis geben“ ist eine weitverbreitete Redensart in christlichen Kreisen. Dieser Begriff hat den Wortstamm „Martyrion“ und bekommt dann gleich einen ganz anderen Charakter, da ich an Leiden und Sterben von Menschen für ihren Glauben denke. Aber ist und muss es das für mich auch bedeuten?

Ich fühle mich an eine Geschichte aus dem Neuen Testament und ein Reden Jesu erinnert, in der er seine Jünger dazu auffordert, Zeugnis an unterschiedlichen Orten abzulegen, indem er zu ihnen sagt: „[…] Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr mit seiner Kraft ausgerüstet werden, und das wird euch dazu befähigen, meine Zeugen zu sein – in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und überall sonst auf der Welt, selbst in den entferntesten Gegenden der Erde.“ (Apostelgeschichte 1,8; NGÜ)

Selbst wenn dieser Satz sich nur an die Jünger gerichtet hat, werden an anderen Stellen die Christen in die Welt, zu den Menschen gesandt und dazu aufgefordert, „Salz zu sein“ (Matthäus 28, 19+20; Johannes 20,21; Matthäus 5,13). Aber was bedeuten diese Aufforderungen mit Blick auf meine Situation im Osten Deutschlands, in meinem Treppenhaus am Sonntagvormittag?

Zeugnis geben muss nicht immer leicht sein

Ich komme ins Nachdenken und merke, dass sich dabei ein innerer Druck aufzubauen scheint: „Du musst ein Zeugnis sein!“ Und wenn ich dann in die Bibel oder Geschichte schaue, werde ich mit Beispielen für wahre Märtyrer überschüttet. Da lese ich von Stephanus, Thekla von Ikonium, Jan Hus, Dietrich Bonhoeffer und vielen anderen. Aber geht es für mich darum? Ist das wiederum, auf meine Gegenwart und meine Perspektive bezogen, nicht ziemlich realitätsfremd?

Im ersten Moment komme ich nicht richtig weiter. Ich stelle nur fest, dass sich die Zeiten teilweise geändert haben, aber die Sendung der Christinnen und Christen zu den Menschen noch immer gilt! Und ich meine Begeisterung für das Christsein auch weitertragen möchte. Leicht ist es dennoch nicht – und ich glaube auch: soll es manchmal auch nicht sein, da diese Begebenheiten zu meiner eigenen Reife im Glauben beitragen können.

Zum Nachgespräch: Kirche ist wichtig

Ich komme zurück auf meine Begegnung mit der Nachbarin am Sonntagvormittag und meiner dahingenuschelten Antwort. Diese Begegnung wurde für mich zu einem Schlüsselerlebnis! Denn die Reaktion meiner Nachbarin war anders, als ich es zunächst erwartet hatte: „Ach, das ist aber schön. Dass die Kirche da ist, ist hier im Osten etwas ganz Wichtiges. Auch wenn wir an nichts glauben, haben wir selbst auch schon unterschiedliche Kontakte zur Kirche und Diakonie gehabt.“

In diesem Moment bin ich für einen Augenblick sprachlos, da ich mit einer krassen Ablehnung oder zumindest Desinteresse gerechnet hatte. Wir kommen ins Gespräch miteinander, sprechen sogar über den Gottesdienst und meinen hochzeitsähnlichen Auftritt im Treppenhaus. Sie zeigt tatsächlich Interesse an dem, was ich erzähle, nimmt bereitwillig auch meine Einladung zum Sommerfest der Gemeinde an, auch wenn sie später nicht vorbeischauen wird.

Ansprechbar sein

Seither reden wir aber immer mal wieder und sehr offen über das „In-die-Kirche-Gehen“, den Glauben oder auch die Nächstenliebe, manchmal höre ich aber auch einfach nur zu oder trage ihren schweren Einkauf in ihre Wohnung. Nicht jedes Treffen wird zu einem tiefgehenden Gespräch über meine Nachfolge. Und das ist auch gar nicht schlimm! Sie scheint von mir zu erwarten, dass ich mit ihr über den Glauben spreche, da ich für sie einer der wenigen Menschen bin, über den sie direkte und persönliche Informationen über den Jenen bekommen kann. Und ich merke im Gegenzug selbst, wie mich diese Begegnungen beschenken, da sie mir zeigen, wie der Heilige Geist wirkt.

Der heilige Geist befähigt

Denn deutlich wurde mir inzwischen ein zentraler Bestandteil des oben genannten Verses aus der Apostelgeschichte, der mir zu einer Hilfestellung in verschiedenen Begegnungen mit meiner Nachbarin, aber auch darüber hinaus geworden ist, und meinen Blick geändert hat: „[…] wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr mit seiner Kraft ausgerüstet werden, und das wird euch dazu befähigen, meine Zeugen zu sein […].“ Nicht um mein eigenes Reden und Handeln geht es in diesen Situationen, sondern um die Wirkung des Heiligen Geistes, der mich im richtigen Moment befähigt und ausrüstet. Das bedeutet nicht, dass es für mich nicht noch immer „komisch“ ist, über meinen Glauben im Treppenhaus oder an einem anderen Ort zu reden, aber es entlastet ungemein! Denn es kommt in erster Linie nicht auf mich an. Dieses Wissen nimmt mir auch die Last von den Schultern, mich selbst im Sinne eines Märtyrertums zu überfordern, und zugleich mit Vertrauen auf Gott in diese Situationen zu gehen.

Und eine Sache leuchtet mir auch ganz grundsätzlich ein: Dieses Wissen und die damit verbundene Haltung ist nichts, was nur auf den Osten anwendbar ist, sondern in jedem Alltag und an jedem Ort zu einer Entlastung und Befähigung der Christinnen und Christen werden kann. Daher: mit Gottes Geist mutig voran!

Ulrich Mang ist Sozial-Missionarischer Referent beim Deutschen EC-Verband und Leiter der EC-Indienhilfe. Er gehört zum 3E-Redaktionsteam und lebt mit seiner Familie in Halle/Saale.

Ideenmagazin 3E

Dieser Erfahrungsbericht erschien bereits 2020 in 3E, dem Ideenmagazin für die evangelische Kirche. Jede Ausgabe will Christinnen und Christen begeistern, die Chancen und Stärken von Gemeinden zu nutzen, um das Evangelium zu verkünden.

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