Bahnhof im Winter

Mein Sprinkle-Moment

"Jetzt in der Weihnachtszeit ist die Einsamkeit besonders groß, noch mehr, wenn man älter ist. Und allein daheim. Trotzdem: Ich bin dankbar für solche Begegnungen."
Tabea Gutmann

Begegnung im Zug

Eine Weihnachtsgeschichte mit Herzschlag

Irgendwo zwischen Münster und Bochum. Dieser alte, traurige Mann im Zug, der mich anspricht. Er murmelt irgendwas von einem Passanten, der barfuß herumgelaufen sei. Ich murmele etwas Höfliches zurück.

Und mustere ihn unauffällig. Die kleinen wässrigen Augen mit den geschwollenen Unterlidern. Das graue, sorgfältig zurückgekämmte Haar. Sein rechter Arm hängt etwas herab, bei genauerem Hinsehen auch sein rechter Mundwinkel. Die etwas verwaschene Aussprache festigt meinen Verdacht, dass er wohl irgendwann einmal einen Schlaganfall erlitten hat. Moment, von was redet er gerade? Irgendetwas vom Glitzern in den Augen der Menschen, das er in dieser besonderen Jahreszeit sehen könne ... von Schwermut erfasst, wischt er sich ungeschickt die Tränen aus den Augen.

Er hat jetzt meine volle Aufmerksamkeit. Da fängt er an, stockend von seiner schwerkranken Frau zu erzählen. Dass er sie jeden Tag im Krankenhaus besuche. Jeden Tag die lange Fahrt hin und zurück, bei jedem Wetter. Notoperationen. Verlegungen.

Mitleid packt mich. Ich spüre förmlich die Last auf seinen Schultern. Die Angst und Sorge um seine Frau. Die Einsamkeit. Die Lücke, die das im Alltag hinterlässt. Das Zuhause, das ihm, jetzt wo sie fehlt, kein schöner Ort mehr ist. Wohin er nun wieder unterwegs ist.

Vierzig Jahre sei er verheiratet. Bei der Hochzeit war er 32, sie 20. Aber sie wollte nur ihn. Ein Lächeln huscht kurz über sein Gesicht. Dann gewinnt die Traurigkeit wieder die Oberhand ... Nun greife seine Hand in der Nacht auf die leere Bettseite. Wäre es nicht so tragisch, es wäre hollywoodreifes Liebesdrama im Zug.

Abwechselnd entschuldigt und bedankt er sich für das Gespräch. Es gäbe ja mittlerweile kaum noch Menschen, die sich im Zug oder Wartezimmer beim Arzt auch mal unterhalten. Alle würden immer gleich ihr Handy aus der Tasche holen, Kopfhörer aufsetzen und den Blick abwenden. Etwas verlegen nicke ich, wohlwissend, dass ich noch vor Sekunden selbst nach meinem Handy und den Kopfhörern gekramt hatte.

Noch 15 Minuten

Auf dieser Fahrt bleibt beides in meiner Tasche. Stattdessen ermutige ich ihn mit einem Lächeln weiterzureden. Er redet und redet und ist dankbar dafür, dass sich jemand mit ihm unterhält, ein bisschen Konversation betreibt und ihm für einen längeren Moment aus seinem Gedankenkarussell heraushilft. Er rechnet flink die Zeit aus, wann ich umsteigen muss. Noch 15 Minuten. Ein bisschen Zeit bleibt also. Wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Schön.

Als ich aussteige, bedankt er sich noch einmal. Ich strecke ihm meine Hand hin. Etwas ungelenk ergreift er sie mit beiden Händen. Wenn er jetzt auch nach Bochum müsste, würde er mich noch zum Essen einladen. Nun bin ich die, die lächelt ... Diese charmanten Herren der alten Schule!

Nachdenklich steige ich aus und winke ihm nochmal zu. Jetzt in der Weihnachtszeit ist die Einsamkeit besonders groß, noch mehr, wenn man älter ist. Und allein daheim. Trotzdem: Ich bin dankbar für solche Begegnungen. Dankbar für das kleine Licht, das ich heute sein konnte. Und überrascht von dem kleinen Licht, das der alte Mann heute für mich gewesen ist.

Lasst uns - gerade jetzt in der Weihnachtszeit - ein Licht sein!

Tabeas Sprinkle-Moment ist auch im lebenslust Heiligabendspecial veröffentlicht. Einem kleinen Magazin, das auf ganz unaufdringliche Weise vom Glauben berichtet, Weihnachtstraditionen erklärt und neugierig auf eine Beziehung mit Jesus macht. Perfekt zum Weitergeben!

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